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Nach 16-jähriger Vorarbeit und über zehn Millionen Subventionen mit öffentlichen Geldern, wurde vom 24. bis 27. November 2016 in den 17 betroffenen Gemeinden über das Nationalparkprojekt Parc Adula abgestimmt. Die betroffene Bevölkerung lehnte das Vorhaben trotz massiver Propaganda der Befürworter ab. Im folgenden Interview erklärt Leo Tuor, Mitglied des Komitees «na nein no Parc Adula» dieses Resultat.

(Interview Rico Calcagnini)

Rico Calcagnini: Warum ist die Ablehnung des Nationalparkprojektes Parc Adula wichtig?

Leo Tuor*: Wir haben in Graubünden bereits einen Nationalpark. Das genügt. Zudem haben wir noch drei Naturpärke und jetzt ist bereits die Rede von einem internationalen Park im Prättigau, der den Rätikon bis nach Österreich umfassen soll. Eigentlich könnten wir aus der ganzen Schweiz einen Park machen, die 289 Labels abschaffen und das alte Markenzeichen wiedereinführen, das mit der Armbrust, welches Schweizer Qualität, Zuverlässigkeit usw. auszeichnet: eine rote Armbrust für konventionelle Qualität, eine grüne Armbrust für echte Bioqualität, eine gelbe für nicht überzeugende Bioqualität, bei der das Label nur aus subventionstechnischen Gründen übernommen wird. Die Ablehnung des Adula-Parks ist wichtig als Signal nach Bern, dass es uns nicht um eine befürchtete Einschränkung der Freiheit geht, sondern, dass wir genug von Reglementierungen haben. Zudem haben wir das Schweizer Parkkonzept als miserables Theater durchschaut. Und von pathetischem Gerede – es handelt von Visionen und Zukunft planen – halten wir nichts. Planwirtschaft, Fusion und Zentralismus stehen quer zum Denken eines Bergvolks.

Leo Tuor* (Foto Y. Böhler)

Wie konnte die kleine Gruppe der Parkgegner trotz der finanziellen Übermacht und der enormen Medienpräsenz der Parkbefürworter überzeugen?

Die Alternative Parc Adula oder Apokalypse, das war für die Stimmbürger ein bisschen einfach. Dann: Einen Nationalpark verbindet man mit Natur, aber das Projekt gab vor die Wirtschaft fördern zu wollen. Nur im Unterland propagierte man es als Naturpark. Adula war nie glaubwürdig, seine Leute hatten kein Charisma und nahmen das Volk nicht ernst. Das war eine Schlacht von Rebellen gegen Advokaten. Bei den einfachen Leuten kommen Advokaten nie gut an. Und nur mit Millionen und Geschwätz kann man nicht überzeugen, es roch immer nach Propaganda. Die grosse Mehrheit war nicht käuflich.

Wie war die Zusammenarbeit mit den Tessiner Parkgegnern?

Wir haben uns nicht als Bewohner von verschiedenen Kantonen wahrgenommen, sondern als Bergler/montanari, mit der gleichen Identität. Sprachlich war es ein Problem. Wir Romanen verstehen zwar italienisch aber mit reden und argumentieren ist es schwieriger. Dazu kommt, dass Bergler und Bauern nicht so sprachgewandt wie die avvocati sind, aber wir kamen beim Volk, das auch nicht so sprachgewandt ist, gut an. Auch Moses hatte dieses Problem mit der Sprache (Ex. 4,10) und führte trotzdem das trotzige Volk durch die Wüste des Lebens.

Die Kontroverse um den Parc Adula, in der wir bald sahen, dass unsere Identität – der Berg nämlich –, die gleiche ist, hat uns den Tessinern nähergebracht. Beide lieben wir die Berge, idealisieren sie aber nicht zu sehr, weil sie auch schwierig sind, Gefahr bringen, unerbittlich sein können. Die Zusammenarbeit war unbürokratisch und unkompliziert. Wir hatten eine einzige Sitzung auf dem Lukmanier, zu der wenige Bündner kamen, weil Hochjagd war und man dann mit ihnen nichts anders anfangen kann.

Welche Erkenntnisse ziehst du persönlich aus der ganzen Kontroverse?

Ich habe daraus die Erkenntnisse gezogen, dass man glaubwürdig und ehrlich sein muss und dass die Leute zusammenhalten, wenn es um ihr Sein geht: Unsere Existenzgrundlagen sind die Berge und die Sprache, die bedingen einander. Ohne Berge gäbe es nicht so ausgeprägte Dialekte und das Rätoromanische wäre längstens ausgestorben. Uns Romanen versuchte man vor nicht allzu langer Zeit von oben eine künstliche Einheits-Sprache aufzuzwingen: das Rumantsch Grischun. Dieses Millionen-Projekt scheiterte kläglich, weil es von Zürich und Chur kam. Auch das war ein Problem Stadt-Land, Zentralismus versus Föderalismus. Wir ticken anders als die Städter. Die Schweiz ist kein Einheitsbrei. Darum ist sie interessant. Eine andere Erkenntnis ist, dass Literatur ein Schwert sein kann. Ich bin Literat und habe mit Essays gegen diesen Irrsinn angekämpft. Auch in Giacumbert Nau (1988), mein Sturm und Drang Buch – ein Buch das bei der Bündnerregierung lange auf dem Index stand – ist zu lesen :

«Die Wüste wächst: weh dem, der Wüsten birgt!»

«Was ist eigentlich mit Euch, Herr Präsident?Ihr seid bald siebzig Jahre alt und wollt weiterhin das Land verkaufen? Ihr habt spekuliert, überbaut, Euer Tal verwüstet, und jetzt wollt Ihr Euer Gewissen übertünchen mit einem Park in den Tälern der andern?

Ihr habt zwar eine illustre Suite. Aber bedenkt, da sind noch andere auf dieser Welt. Die wollen in den Bergen leben und nicht in einem Reservat. Könnt Ihr, Herr Präsident, ein alter Mann, denn niemals Ruhe geben? Nichts liegt uns an der Zukunft, die Ihr uns im Bunde mit den Städtern zusammenbrauen wollt. Sie haben ihre Lebensräume zerstört – gibt ihnen das ein Recht auf die unsern? Unsere Weiden sollen Wüsteneien werden? Unsere Wälder einwachsen? Und wir sollen ihre Mohikaner sein? Nicht einmal die Sterne wollt Ihr mir lassen. Und meine Tiere, wohin soll ich mit meinen Tieren gehen?

Haderlumpen, Rohkostraspler. Macht eure Parks in euren Städten. Nichts liegt uns an der Zukunft, die ihr uns bereiten wollt. Lasst meine Tiere in Frieden, die euch nichts getan haben, die unter dem gestirnten Himmel ruhen. Geht zum Kuckuck mit euren Ratschlägen. Respektiert uns, die wir hier nicht in den Ferien sind.»

Was bedeutet das Resultat für die Identität der Bergbewohner?

Die Gefahr der Schweizer ist, dass jeder für sich schaut, etwas ausbrütet in seiner Region, ohne von den andern etwas wissen zu wollen. In Graubünden haben wir eine Art Minischweiz, mit den drei Sprachen und den vielen Tälern. Im rätoromanischen Teil haben wir mit unseren fünf Schriftsprachen wiederum eine Art Minigraubünden. Und auch die Rätoromanen brüten in ihren Regionen alle für sich. Die ganze Struktur in der Schweiz ist eine Matrioschka mit Kopftuch, jedes mal ein bisschen kleiner, die kleinste ist die Rätoromanische.

Das Resultat hat gezeigt, dass wir uns gegen Bürokratie und Zentralismus wehren können, wenn wir zusammenarbeiten. Unser Komitee leistete mit minimalen Kosten, kleinem Zeitaufwand und bescheidener Infrastruktur eine optimale Arbeit. Es war faszinierend, mit Leuten von links bis rechts zusammenzuarbeiten, ohne Parteiengezänk und Machtgehabe.

Die Parkbefürworter weigerten sich, einen Zusammenhang zu sehen zwischen Park und Grossraubtieren, was meinst du dazu?

Auch das war unglaubwürdig, weil Wolf und Bär etwas mit Natur zu tun haben und in einem Nationalpark total geschützt sind. Auch mit einer Lockerung der Berner Konvention. Als man diese 1979 unterschrieben hatte, gab es noch keine Wölfe hier und somit auch keine Probleme. Und in Graubünden mit so vielen Pärken haben die Wölfe eine grosse Freiheit, auch um sich ungestört zu vermehren. Es kann doch nicht sein, dass die Befürworter sagen, der Nationalpark schützt Natur und Tiere und gleichzeitig zu behaupten, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Park und den Grossraubtieren gibt. Das ist unlogisch und unredlich. Der Wolf ist in den Bergregionen von Graubünden und im Nordtessin ein wichtiges Thema. Italien hat einen anderen Umgang damit, Italien ist nicht so gesetzestreu. Vielleicht könnten wir von unseren Nachbarn etwas lernen.

Vielen Dank für das Gespräch .

*Leo Tuor, geboren 1959, verbrachte vierzehn Sommer als Schafhirt auf der Greinaebene. 1989-2000 Arbeit an einer sechsbändigen Werkausgabe des rätoromanischen Dichterfürsten und Kulturhistorikers Giacun Hasper Muoth. Leo Tuor lebt mit seiner Familie in Val. Er schreibt Romane, Erzählungen, Kurztexte und Essays, er wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. 2012: Preis der UBS Kulturstiftung, Zürich für Gesamtwerk; Prix du Conseil International de la Chasse CIC (South Africa) für «Settembrini»; 2009: Bündner Literaturpreis; 2007: Preis der Schillerstiftung.

1Quelle: Tuor, Giacumbert Nau, Zürich 2012, 144/145, Übersetzung P. Egloff

www.tuors.ch

 

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